The Deadnotes und „Rock ‘n‘ Roll Saviour“: Ein Meilenstein der Selbstfindung
27.02.2025 | Colin Vogt

Stellt euch vor ihr schaut die letzten 10 Minuten eines Coming-of-Age Films. Der Protagonist hat trotz unüberwindbar scheinender Krise am Ende doch seinen langjährigen Crush überzeugen können, dass er der Richtige ist. Der Abschlussball endet. Draußen wartet er im abgerockten Cabrio auf sie. Sie springt rein, beide fahren in die Nacht. Genau diese Szene spielte sich beim ersten Hören von „Rock ‘n‘ Roll Saviour“ vor meinem inneren Auge ab. Als die Jungs dann im 9. Song („Reservoir“) genau von einer solchen Szene sprechen, fühle ich mich kurz als hätte ich die 4. Wand durchbrochen – ich grinse. Anyways, genau diesen Feel-Good-Cabrio-Vibe gibt mir die neue Platte des Freiburger Duos. Aber die Platte soll viel tiefer greifen als das.
Fangen wir etwas weiter vorne an. Knapp 4 Jahre ist es her, dass die Deadnotes mit einer Platte auf Albumlänge die Hörenden beglückten. „Courage“ war eine astreine Emo-Punk Platte und führte somit den stilistischen Deadnotes-Output seit dem Debütalbum fort. Courage kombinierte 2000er Pop Punk Einflüsse mit der lyrischen schwere der Emo-Szene à la Menzingers, Alkaline Trio, Modern Baseball etc. auf gewohnt hohem Niveau.
Doch so weh es meinem Emo-Fanboy-Herz tut, muss man ganz klar sagen, dass alle Produktionen die sich mit eben dieser Emo-Melancholie schmücken, zumindest lyrisch – wenn nicht zuletzt auch im Sound – etwas limitiert sind. So schön es sich auch anfühlt sich in der Traurigkeit über eine verflossene Liebe oder der Tristesse der Kleinstadt zu suhlen – am Ende des Tages dreht sich im Kern doch sehr viel um genau diese immer wiederkehrenden Themen.
Auch für die Deadnotes schien diese Schiene mit Courage auserzählt zu sein. Nach 3 Jahren Pause kamen sie 2023 mit der 4-Track EP „Forever Outsider“ und damit auch mit einem gänzlich neuen Sound zurück. Die Richtung war klar: schwermütige Riffs wurden durch rockige Leadgitarren ersetzt, der Gesang kommt deutlich energischer und mitreißender zum Einsatz und das Soundbild wird mit Saxophon, teilweise schon funky Percussions und Piano noch einmal deutlich breiter.
Genretechnisch war der Umschwung für die Bestandshörerschaft wahrscheinlich etwas schwierig einzuordnen. Aber muss man sich als Künstler:in denn immer irgendwo einordnen können? Genre-Schubladen sind auch für die Deadnotes eine Red-Flag – das hörte man in „Forever Outsider“ nun das erste Mal deutlich heraus.
Nach fast 2 Jahren erscheint nun die Manifestation des neuen Sounds als Langspielplatte. Und genau dort steigen wir nun ein. Das Album thematisiert bekannte Themen wie Liebe und Einsamkeit, tut dies aber deutlich tiefer und adressierter als der Vorgänger „Courage“. Zudem lassen Themen wie die eigene Sterblichkeit und sogar eine seichte Gesellschaftskritik die Deadnotes nun auch lyrisch über den Emo-Tellerrand blicken.
Das Album startet mit einem fast musical-esquen Opener („December 31st“). Hier wird direkt klar, wo es hingehen soll. Der Song steigert sich vom Piano über das Saxophon in eine eingängige Leadgitarre und weckt eine enorme Aufbruchstimmung, welche die Hörenden mit selbiger Leadgitarre direkt in den nachfolgenden Song „Jesus Christ! (I’m Sick And Tired Of Falling In Love)“ schmeißt. Dort angekommen finden wir uns im Sound wieder, der uns nun größtenteils für die restlichen 8 Songs mitreißen soll.
Die Single des Albums („Show Me What Love Is“) steht exemplarisch für diesen neuen Sound der Deadnotes. Alleine, dass das Intro beim ersten Hören sofort an Chris Rea’s „On the Beach“ erinnert hat, zeigt wie breit das Stil-Spektrum der „neuen“ Deadnotes auf die Hörenden wirken kann. Ein warmes Saxophon und lockere Synthies untermalen dieses Gefühl umso mehr. Für mich steht der Song aber auch für die textliche Weiterentwicklung des Duos. Die Zeilen „… wake up your indecisive mind, we’re victims of our modern times“ werfen – im Kontext des restlichen Songs – die Frage auf, wie es in einer Zeit von TikToks, Reels und scheinbar unendlichen Informationsquellen überhaupt noch möglich ist, echte Romantik zu finden. Denn am Ende sind wir stets damit beschäftigt, uns mit anderen zu vergleichen und gerade dadurch dem Gefühl nachzujagen, endlich genug zu sein.
Im nachfolgenden Song („The Soundtrack Of Our Lives“) kehrt zum ersten und mehr oder weniger auch letzten Mal – zumindest in der ersten Songhälfte – etwas Ruhe ein. Wer die Melancholie der Vorgängerwerke sucht, wird sie in diesem Song wohl am ehesten wiederfinden. Trotzdem schafft der Song eine völlig neue Version dieser Schwermütigkeit. Denn vor allem das neue Soundbild trägt dazu bei, dass sich selbst dieser entschleunigte Song eher wie eine Ode ans Leben anhört, als eine wehmütige Trauerballade.
„Marlboro Man“ ist ein weiterer Song, der mir nicht nur wegen seiner Ohrwurm-Hook im Gedächtnis geblieben ist. Der Song zeigt die Ambivalenz von Good-Vibe-Intrumentals und schweren Themen wie Mental Health, Überarbeitung, eigener Sterblichkeit und Einsamkeit auf, welche die Deadnotes auch auf diesem Song so gut zusammenbekommen. Diese Ambivalenz beschreibt das neue Album „Rock ‘n‘ Roll Saviour“ sowieso sehr gut. Beim ersten Hören möchte man sich direkt in das eingangs erwähnte Cabrio knallen und losfahren – egal wohin. Hört man aber genauer hin, kommt von den Deadnotes nun auch eine tiefere Ebene zum Vorschein, die man auf vorigen Werken mehr oder weniger vergeblich gesucht hat. Kritik kann ich als alter Emo-Fanboy leider nur darin üben, dass sie meiner stets geliebten, etwas „einfacher“ gestrickten Teenage-Melancholie nun vollends den Rücken gekehrt haben.
Wertung
Mit „Rock ‘n‘ Roll Saviour” manifestieren The Deadnotes den Meilenstein Ihres Stilbruchs nun auch auf Albumlänge. Dieser Schritt erscheint logisch und funktioniert beeindruckend gut. Der neue Sound klingt weder aufgesetzt, noch unauthentisch – was wohl vor allem an der grandiosen Produktion liegt. Jeder Song peitscht den Hörenden unmissverständlich das Gefühl um die Ohren, dass die Jungs nun ihren Sound gefunden haben. Gerne mehr davon!

Colin Vogt
Wenn der Fokus gerade nicht auf seiner Gitarre liegt, dann zumindest im konsumieren von Punk, Emo, Metal und allem, was die Palette sonst so hergibt - am liebsten live aus dem Pit. Colin lebt in Leipzig und ist freiberuflicher Texter. Zu seinen Lieblingskunden zählt vor Allem das Wacken Festival, für das er das ganze Jahr über arbeitet.